comme ci, comme ca
Um dem Wahnsinn zu entkommen, entfloh ich kurzer Hand nach Frankreich. Genauer gesagt nach Metz. Dort war ich im Begriff eine Partnerschule zu besuchen und Kost und Logis einer Gastfamilie in Anspruch zu nehmen. Doch schneller als ich den Entschluss fasste, bereute ich ihn bei der flüchtigen Begutachtung meiner Tauschschwester auch schon wieder. Gefangen in einem grün markierten Kasten inmitten des Schulhofes, welcher einen als zu meidenden Raucher abstempelte, besprangen mich zwei türkisfarbene glitzer Lidstriche umrahmt von langem schwarzen Haar, die mich in einem perfekten Deutsch fragten ob ich die fragliche Person sei. Nach kurzer Bestätigung meinerseits, verschwand die Gestalt im Rauch meiner Zigarette bis ich mich in einem Klassenraum mit weiß bekittelten Mädchen meines Alters mit Mörderpuppen ähnlichen Plastikbabys im Arm wieder fand. Immer noch nicht zur Besinnung gekommen, sprangen plötzlich alle auf, griffen sich meine Taschen und rannten ohne ein Wort zu sagen los. Da ich es nicht besser wusste und am nächsten Tag nicht unbekleidet zum Unterricht erscheinen wollte, rannte ich hinterher, ging in einem schier endlosen Meer von Schülern unter und tauchte eingepfercht in einem Bus samt meinen Taschen und der Tauschschwester wieder auf. Da saß ich, völlig verwirrt, noch unbesprochen auf dem Weg ins Nichts mit dem Gedanken wieder nach Hause zu wollen und die Frage warum ich mich auf dieses Abenteuer eingelassen hab, bis sich plötzlich eine behagliche Stimmung auftat und mich zig neugierige Gesichter bittend ansahen in der Hoffnung etwas über mich zu erfahren. Das Martyrium entspannte sich nach einer gefahrenen Stunde als wieder meine Taschen in fremde Hände gerieten und ich mit ihnen den Bus verließ. Bis vor der Haustür meiner neuen Stätte war ich mir immer noch nicht im Klaren ob das ganze Realität sei oder nicht, doch die herzliche Begrüßung meiner zur Überraschung italienischen Gasteltern und zweiter Schwester, ließ jeglichen Unmut von mir abfallen.
Mittlerweile befand ich mich in Audun-le-Tiche, einem Ort neben Luxemburg und einer langen Busfahrt zu meinem Bildungsort entfernt. Dort verweilte ich in einem gemütlich eingerichteten Heim und genoss südländischen Familienzusammenhalt inklusive frisch zubereiteter italienischer Küche für das, durch den straffen Stundenplan geringe, süße Nichtstun.
Jedoch hatten wir November und die liebevoll einladende Wärme im Haus, ließ die morgendliche Kälte, welche meine Fingerkuppen zum Springen brachte, auf den noch im Dunkel liegenden und Müllabfuhr-orange getünchten Straßen noch eisiger erscheinen. Allerdings wäre auch unsere Busfahrerin dazu im Stande gewesen, die uns eines Morgens kaltblütig am Straßenrand stehen ließ, um ihrer Wut auf Grund der täglich zunehmenden Beschädigungen an ihrem heißgeliebten Gefährt, Ausdruck zu verleihen. So kam es auch, dass wir nach einem langen Schultag ohne Vorwarnung auf einer noch längeren Landstraße zwischen Feldern und Wiesen stehen blieben und den Bus verlassen mussten bis Blaulicht unsere Gesichter färbte und die Gendarmerie drei Halbstarke abführte, die die Fahrt in den Dunst illegaler Substanzen legten.
Unbeschadet davon und nach Hause gekommen, fielen wir ins Wochenende ein, welches die Familie noch größer und noch idyllischer machte. Außerdem standen ein Besuch in einem Event-Center, den luxemburgischen Einkaufstraßen und ein Doppeldate meiner Tauschschwester und mir an. Französische Jungen sind einfach zu süß als dass man an ihnen vorbei käme.
Vollbepackt mit meinen Taschen, gefüllt mit tränenreichen Momenten, den besten Wünschen und den einprägensten Erlebnissen, hieß es nach der letzten Busfahrt und dem allerletzten Blick auf die mittlerweile komplett fehlende Rückbank, Abschied nehmen. Fast ertrunken in meinen und der Tauschschwester nur so hinab kullernden Tränen, fielen wir einander in die Arme und versprachen uns voller Wehmut ein "au revoir" bis wir uns bis zum heutigen Tage entglitten.
bizarresse am 28. September 11
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